Tonne 17

74. – 90. (!) Tag (140 sm): Tolles Segeln in Sardiniens Osten

Wunderschöne Tage unter Segel – und eine schöne Heimstatt für BELLARIVA im Winter

Entlang der Süd- und Ostküste nach Santa Maria Navarrese

Nach fünf Tagen werfen wir in Carloforte wieder die Leinen los und segeln. Wir haben besten Wind und eine hoch motivierte Mannschaft. Es geht an der Südküste zurück Richtung Villasimius, von dort an der Ostküste Sardiniens in Richtung Norden nach Santa Maria Navarrese. Fünf Tage lassen wir uns für die ca. 160 sm Zeit, vier Nächte genießen wir in bereits bekannten und noch unbekannten, fast leeren Ankerbuchten. 

Mit der Aussicht auf bestes Segelwetter hat Lasse und Jakob plötzlich der sportliche Ehrgeiz gepackt. Die Segel werden bereits zum Ankerauf gehisst, und erst wenn der  Anker fällt, wieder geborgen.  Fünf Tage ohne Motorenlärm (fast ohne- der Watermaker…) bewältigen wir so. Ein ganztägiges, unerklärtes Rennen gegen einen anderen Katamaran verlieren wir denkbar knapp, und nur wegen einer folgenschweren Fehlentscheidung des immer noch zum reinen Genuß-Segeln neigenden Skippers am Morgen: “Das Groß bleibt angesichts der Vorwindkurse des Tages unten”.

Wir dachten ja, die schönsten Küsten Sardiniens bereits gesehen zu haben, es geht aber noch schöner. Die Ostküste zeigt sich uns, eingetaucht in die goldene Herbstsonne, mit intensiven Farben, bunten Felsen, sattem Grün und sardinienüblich tieftürkisblauem Meer.

 

Unser Winterhafen 2020/21: Marina di Baunei

Santa Maria Navarrese und die dazugehörige Marina di Baunei liegen am Fuß des Monte Oro, am nördlichen Ende des schönen Golfs von Arbatax. Hier kann Bellariva über Winter bleiben. Und wir zunächst auch. Die Marina wird von verschiedenen Skippern dringlich empfohlen, und so haben wir uns in letzter Sekunde gegen Arbatax entschieden, trotz eines sehr netten und professionellen Kontaktes dorthin. Preislich lohnt sich das Verlagern ebenso – deutlich. Dass dieses Umentscheiden überhaupt klappt, ist Zufall: Eine vorausgegangene Absage ermöglicht es dem Hafenmeister dieses gut belegten Hafens erst, uns eine Zusage zu geben. Mit einem 50-Fuß-Katamaran sind wir hier das zweitgrößte Freizeitschiff im Hafen… das ist uns noch nirgends im Mittelmeer passiert. Die Marina ist fest in deutscher Hand – allüberall deutsche Autokennzeichen und deutsche Skipper in der Hafenbar. Darunter viele, die beneidenswerterweise offenbar frei entscheiden können, wann sie sich wo wie lange aufzuhalten gedenken 🙂

Aktuell liegen wir noch an einem Platz, der einfach verlassen und wieder aufgesucht werden kann – der aber stark von Seegang aus Sü-Süd-Ost in Mitleidenschaft gezogen wird, und an dem man uns im Winter nicht lassen möchte. 

Unser endgültiger Winterliegeplatz ist hingegen nicht frei von Nervenkitzel: Es ist der mit Abstand ruhigste und “most sheltered” Liegeplatz des ganzen Hafens, ein 6er im Lotto; da wir aber ein Katamaran sind, schrammeln wir mal eben knapp an der Hafenmole vorbei – 3m Wasser trennen uns von rümpfefressenden Felsblöcken… und ohne “Bugsierhilfe” des Hafenmarineros mit seinem Motorboot ist dieser Platz im hintersten Winkel weder ansteuerbar noch zu verlassen. 

Wir wettern erst eine ungewöhnlich heftige Kombination aus Herbstmistral und Doppeldepression über Genua ab, und eine Woche später das in Südfrankreich und Norditalien schrecklich wütende Sturmtief “Alex”. Bei letzterem wird uns die Schwellanfälligkeit unseres temporären Liegeplatzes recht anschaulich vor Augen geführt… es dauert einige Stunden des Austarierens von Festmachern, Ruckdämpfern und Moorings, bis das Schiff leidlich stabil liegt. Dann doch lieber die Hafenmole als Nachbar. 

In der Zwischenzeit bringen wir auch Linus am 28. September zur Heimreise an den Flughafen von Olbia. Ein nicht ganz kleiner Abschied, auch wenn er, wie solche Anlässe irgendwie immer ein wenig, im Trubel untergeht. 

Mit der Fahrt nach Olbia besorgen wir uns auch einen geräumigen Mietwagen. Am 15. Oktober setzen wir dann mit der Fähre nachts nach Livorno über, um nach einem dreitägigen “Zwischenstopp” in den Alpen am 19. Oktober in Berlin einzufallen. Danach geht es dann gleich zum Wunden lecken nach Stolpe weiter. Der Wagen gibt uns die Freiheit, von diesem Plan je nach Coronasituation auch ad hoc abzuweichen, und ist im Hinblick auf die Transportherausforderungen ohnehin alternativlos und am infektions-sichersten.

Die Corona-Kurven zeigen überall steil nach oben, nun starten auch Deutschland und Italien durch. Mal sehen, ob wir nicht direkt in den nächsten Lockdown geraten und gleich vom Boot runter wieder eine Zeit in Stolpe verbringen (“müssen”). Die Idioten in Berlin, die amtlichen wie die bewohnenden, sind sich zu cool für effiziente Maßnahmen, und vernünftig sind sie schon gar nicht. Will man da hin? Hier in der Leere und Weite der mediterran-herbstlichen Natur mit kaum Menschen drin ist das alles weit weg. Man hat auch gar keinen Bock, sich “die Lage” da draußen zu erarbeiten. 

 

 


Hat hier jemand sein Tuschkasten verschüttet, oder warum haben wir jetzt Farbe im Tank?

Landleben

Auch nach den beiden Stürmen zieht es uns noch nicht sofort wieder aufs Meer hinaus – der Wanderweg hinter unserer Lieblings-Pizzeria-Bar muss vorher noch erkundet werden. Er führt entlang an der Küste zu einem beliebten Kletterfelsen, der weit  ins Meer ragt – unsere Cousine Amélie hätte ihre Freude. Und wieder tauchen wir ein, in eine Landschaft satter Farben. Das Licht, der Himmel, reingewaschen von den Kaltfronten, leuchtend und klar. Felsen in allen Rottönen. Saftiges Grün, das sich auch vom Herbst nicht davon abbringen lässt, zart hellgrüne Triebe zu bilden. Und natürlich das Meer in tausend Türkis- und Blaunuancen. 

 

Ihr müsst jetzt denken, ich beschreibe voller Sehnsucht und Trauer eine gephotoshoppte Postkarte aus der Karibik, aber es ist hier so. Meine Kinder frage ich beständig, was sie sich denn eigentlich von der Karibik noch so viel mehr versprechen…. die Antworten sind unbestimmt-unbefriedigend. Am Ende geht es viel mehr um das Meer dazwischen als um die dämlichen Kokospalmen. 

 

Mir kommt spontan ein Kinderbuch in den Sinn, in dem die Maus Frédérik nicht wie alle anderen Mäuse Proviant für den Winter sammelt, sondern Farben. Und wie sich dann alle anderen Mäuse, im dunklen, kalten Winter über Frédériks Farbenvorrat freuen. Auch muss man nicht unbedingt auf einen Berg steigen, um Wanderer-Glücksgefühle am Gipfelkreuz in sich aufsteigen zu fühlen, eine Küstenwanderung im Farbtopf der Natur setzt die gleich starke Glückshormone frei.

 

Außerdem erkunden wir pflichtschuldigst die nähere Umgebung, und stoßen weit ins Gebirge vor (die Supramonte im Hinterland des Golfo di Orosei), um 600 Höhenmeter in eine atemberaubende Schlucht (Gola di Gorropu) hinab- und wieder aus ihr heraufzusteigen. 

 

Morgen soll es letztmals für dieses Jahr rausgehen zum Segeln – fünf oder sechs Tage die Ostküste entlang in Richtung San Teodoro und wieder zurück.